Dienstag, 30. Mai 2017

Die Rückrunde 2016/17

Das hier soll der zweite Teil einer taktischen Rückschau auf die VfB-Saison 2016/17 sein. Im ersten Teil ging es um die Hinrunde unter Jos Luhukay, Olaf Janßen und mit den ersten Spielen von Hannes Wolf. Der zweite Teil der Saison kam mit etwas weniger taktischen Highlights daher, bot aber zwei interessante, ungewöhnliche Systeme und ein bisschen Chaos zwischendrin. Verlinkt sind außerdem einzelne Spielanalysen zu allen 17 Partien.

Phase 1: Das 4-1-0-4-1


18. Spieltag: FC St. Pauli – VfB Stuttgart 0:1
19. Spieltag: VfB Stuttgart – Fortuna Düsseldorf 2:0
20. Spieltag: VfB Stuttgart – SV Sandhausen 2:1
21. Spieltag: 1. FC Heidenheim -  VfB Stuttgart 1:2
22. Spieltag: VfB Stuttgart – 1. FC Kaiserslautern 2:0
23. Spieltag: Eintracht Braunschweig – VfB Stuttgart 1:1
24. Spieltag: VfB Stuttgart – VfL Bochum 1:1

Über das 4-1-0-4-1 habe ich hier schon einmal kurz was geschrieben. Wie vom geschätzten Kollegen halbraumrandale richtig festgestellt, ähnelte Hannes Wolfs Strategie zum Rückrundenstart der von Thomas Tuchel: Es gab in der Offensive eine sehr klare Raumaufteilung, die über mehrere Spiele hinweg konstant blieb. Diese beinhaltete fünf hoch und breit stehende Offensivkräfte, sowie vier Spieler, die klare absichernde Aufgaben hatten und dafür sorgten, dass man Konter stets in Überzahl verteidigen konnte. Insua war als Linksverteidiger eine Art Scharnierspieler und konnte seine Komplettheit nach vorne, nach hinten und vor allem in einer sehr diagonalen Rolle einbringen. Dafür spielte der Rechtsverteidiger tiefer (Großkreutz hier bis zu seinem Aus von unterschätzter Wichtigkeit in einer für ihn schwierigen Rolle), der linke Innenverteidiger breiter und der linke Achter etwas höher als der rechte.

Diese asymmetrische und doch klare 4-1-0-4-1-Struktur brachte vor allem gegen die DFB-Lehrbuchmannschaften Vorteile, also Teams mit Mittelfeldpressing, Viererkette und Fokus auf Kompaktheit. Dadurch dass das zweite Drittel vom VfB ohnehin nicht besetzt war und überspielt wurde, kam die Kompaktheit dieser Mannschaften im Mittelfeld kaum zum tragen. Stattdessen war die Viererkette gegen Stuttgarts fünf Angreifer in Unterzahl und konnte die Läufe der Achter in die Schnittstellen nur umständlich verteidigen. Außerdem ließ die spielstarke und breit gestaffelte Innenverteidigung des VfB den Ball in der ersten Linie laufen und spielte sich gegen tiefe Gegner gemütlich Raum für direkte Bälle nach vorn frei. Hier war auch Anto Grgics hervorragendes Bewegungsspiel auf der Sechs wichtig, um Räume für Kaminski und Baumgartl zu öffnen.

Auch vorne passte die Taktik zum (eingesetzten) Personal: Die klaren Positionsprofile hatten zur Folge, dass die Offensivspieler oft ähnliche Situationen zu bewältigen hatten und das Verhalten der Mitspieler einigermaßen vorhersehbar war. Vor allem Terodde profitierte massiv von diesem Umstand und konnte klare und extrem wirksame Heuristiken in seinem Spiel nutzen, ebenso funktionierten lineare Spieler wie Green und Asano gut. Das kreative Potential von Spielern wie Ginczek, Brekalo und Maxim blieb dafür jedoch noch unausgeschöpft.

Mit dieser Strategie holte der VfB in den ersten fünf Partien Stabilitätssiege gegen die 4-4-2/4-2-3-1-Mittelfeldpresser St. Pauli, Kaiserslautern, Heidenheim, Sandhausen und Düsseldorf. Letztere schlugen sich mehr oder weniger selbst mit einem seltsamen mannorientierten Mischsystem, mit dem sie Grgic nicht zugestellt bekamen. Heidenheims starker Übergang ins Angriffspressing sorgte hingegen ebenso für ein etwas knapperes Spiel wie Sandhausens gut ausgeführtes 4-2-3-1-Pressing.

Im Laufe der Rückrunde sollte sich allerdings herausstellen, dass die zweite Liga mehr als nur Viererkette und Mittelfeldpressing zu bieten hat. Das ist nicht zuletzt eine recht kurzfristige Entwicklung, weil eine ganze Palette von Teams im Laufe der Saison neue Trainer bekamen, die sich eher vom taktischen Standard wegorientierten (Saibene, Radoki und Köllner seien mal genannt). Die Spiele gegen Bochum und Braunschweig waren ein erster Vorgeschmack darauf: Verbeeks Bochumer spielen im Pressing bekanntlich fast schon Manndeckungsfußball, was gegen die klare Raumaufteilung des VfB sehr übersichtliche Aufgaben für die einzelnen Verteidiger zur Folge hatte. Bochums zur Fünferkette tendierende Grundordnung half außerdem bei der Zuteilung der Gegenspieler. Braunschweig wiederum überraschte mit einer Raute, um die Freiräume im Zentrum zu bespielen, was Wolf, ein bisschen zulasten der eigenen Offensivstärke, mit einer konservativeren Ausrichtung kompensieren musste.

Mit der Aussicht, dass das wohl nicht die letzten gut angepassten Gegner sein würden, verschwand das 4-1-0-4-1 für den Rest der Saison in der Schublade.

Phase 2: Ein unsanfter Übergang


25. Spieltag: Greuther Fürth – VfB Stuttgart 1:0
26. Spieltag: VfB Stuttgart – Dynamo Dresden 3:3

Der Weg zu einem neuen, ebenso stabilen System war geprägt von starken Gegnern und kuriosen Spielverläufen. Gegen Fürth probierte Wolf ein 5-2-3 aus, was aber gegen einen taktisch einigermaßen überragenden Gegner und mit der problematischen Doppelsechs Gentner-Zimmermann komplett nach hinten losging und zu einer Serie von Systemumstellungen (auf beiden Seiten) führte. Zudem war das Gegenpressing in diesem Spiel schwächer als zuvor, als die Offensivspieler noch mit vielen Sprints die Konterräume zugelaufen hatten. Gegen die aufbaustarken Dresdener war es vor allem das schwache Pressing, das für Probleme sorgte. Besonders auf Dresdens Achter bekam der VfB wegen einer zu vorsichtigen und reaktiven, teils an Mannorientierungen gebundenen Spielweise zu wenig Zugriff. Die aberwitzig intensive Aufholjagd in der zweiten Halbzeit machte das ganze schließlich zum zweiten Freak-Spiel hintereinander und komplettierte den unsanften Riss aus der taktischen Monotonie der vergangenen Wochen.

Phase 3: 4-2-3-1, Linksfokus und Insua-Diagonalität


27. Spieltag: VfB Stuttgart – 1860 München 1:1
28. Spieltag: VfB Stuttgart – Karlsruher SC 2:0
29. Spieltag: Arminia Bielefeld – VfB Stuttgart 2:3
30. Spieltag: VfB Stuttgart – Union Berlin 3:1
31. Spieltag: 1. FC Nürnberg – VfB Stuttgart 2:3
32. Spieltag: VfB Stuttgart – Erzgebirge Aue 3:0
33. Spieltag: Hannover 96 – VfB Stuttgart 1:0
34. Spieltag: VfB Stuttgart – Würzburger Kickers 4:1

Nichtsdestotrotz wurde das 4-2-3-1, das Wolf gegen Dresden ausgepackt hatte, zur neuen Stammformation. Das Insua-Einrücken war hier noch krasser und konstanter als zuvor, sodass der VfB offensiv praktisch ein schiefes und linkslastiges 3-Raute-3 spielte. Während der Zehner noch aus einer halbrechten Grundposition spielte, setzte sich die folgende Asymmetrie nicht bis zur Doppelsechs fort. Der rechte Sechser spielte gerade in den ersten Spielen genauso tief wie der linke, was auf rechts zu strukturellen Schwierigkeiten führte. So wurde der ohnehin immer latent vorhandene Linksfokus im Stuttgarter Spiel noch extremer.

Mit der sehr tiefen Doppelsechs, auf der zunächst spielstarke Akteure wie Ofori, Grgic und Özcan statt Gentner oder Zimmermann eingesetzt wurden, wurde der Aufbau und die Konterabsicherung noch besser. Mit der überragend spielstarken Aufbaudreierkette Kaminski-Baumgartl-Pavard und zwei ballsicheren Sechsern in den Schnittstellen, war der VfB schwierig zu pressen, auch wenn man das letzte Risiko etwas scheute. Prinzipiell war es sogar möglich, vor einer 3-2-Absicherung die alte offensive Fünferstruktur herzustellen, wenn Insua als linker Halbstürmer aufrückte. Dennoch war es fürs erste ein großes Problem, dass der Abzug eines Offensivspielers im Rahmen des genutzten Stabilitätsfokus' nicht kompensiert werden konnte.

So gab es gegen die Fünferkette von 1860 einen unschönen Auftritt zu sehen, während eine Woche später gegen den schwachen KSC die wenigen entscheidenden Durchbrüche gelangen. Seit diesem Spiel war auch Maxim als Linksaußen zurück in der Mannschaft und bildete mit Insua fortan ein blendend harmonierendes Duo, das in der Lage war, den Linksfokus besser auszugestalten als zuvor. Nach wie vor limitierten jedoch die schlechte Verbindung innerhalb der flachen Angriffslinie, hohe Direktheit und mäßige Präsenz die Möglichkeiten in der Chancenerarbeitung. Der Fokus lag ganz klar darauf, das Spiel zu kontrollieren, keine Konter zuzulassen und nach vorne über Quantität statt Qualität zum Erfolg zu kommen.

Nach dem Sieg gegen die Pressingmannschaft Bielefeld, bei dem der VfB deren schwache Abseitsfalle nutzte und sonst viele lange Bälle schlug, rückte Maxim gegen Union auf die Zehn und Brekalo kam auf dem Flügel in die Mannschaft. Damit gab es nun zwei kreative Gefahrenherde beim VfB anstatt einen. Zudem funktionierten Wolfs Einwechslungen in dieser Phase gut, obwohl sie eigentlich immer hauptsächlich darin bestanden, auf ein 4-4-2 mit Ginczek-Terodde vorne umzustellen. Gegen Nürnbergs kompaktes aber gegen Offensivpräsenz etwas anfälliges 4-5-1 und Bielefelds problematische Endverteidigung war das aber genau das richtige Mittel.

Was hingegen gar nicht gut funktionierte war das Pressing. Die Abwehr spielte recht vorsichtig und ließ sich früh zurückfallen, während eigentlich oft Angriffspressing auf dem Plan stand. Dadurch litt die Kompaktheit in der Vertikalen und horizontal sah es meistens nicht viel besser aus. Der zweite Höhepunkt dieser Problematik nach dem Spiel gegen Dresden war vermutlich das absurde Tor zum 0:1 gegen 1860. Solange die Intensität stimmte, fiel das aber kaum ins Gewicht, weil die meisten Gegner in dieser Saisonphase über kein strategisches und weiträumiges Aufbauspiel verfügten, und daher nicht systematisch genug in die Lücken im VfB-Verbund reinkamen. Gaetan Krebs gelang das mal im Alleingang einige Phasen lang, aber sonst keinem so wirklich.

Dementsprechend war aus Taktik- und VfB-Sicht das Spiel gegen Domenico Tedescos spielstarke Auer besonders prekär. Wolf zauberte aber für dieses Spiel eine exzellente Pressing-Anpassung aufs Parkett: Zwischen den vier Angreifern installierte er einen Ziehharmonika-Mechanismus, der Aues Spielaufbau extrem effizient verhinderte – teilweise verteidigten 4 Stuttgarter quasi 7 Auer plus Torwart. Besonders die balancierten Positionierungen von Klein und Maxim in der zweiten Linie waren dafür wichtig, aber auch das extrem aggressive Nachrücken der Außenverteidiger Insua und Pavard half enorm und eliminierte die Kompaktheitsprobleme der Vorwochen. Aues Fokus auf schnelle Vertikalpässe verhinderte, dass sie das Pressingquartett des VfB laufen lassen konnten. Nach diesem wirklich hervorragenden Spiel verlor man noch gegen sehr gut aus Zwischenpositionen heraus pressende Hannoveraner und konterte sich zu einem lockeren 4:1 gegen selbst mit zu vielen Problemen kämpfende Würzburger und machte damit den Aufstieg perfekt.

Die (zweit-?)beste Pressingleistung der Saison gegen Aue.

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