Freitag, 1. September 2017

Die Pressingschlacht gegen Mainz

Das Duell Wolf gegen Schwarz bot hochklassiges Pressing auf beiden Seiten. Der VfB setzt mit Publikum im Rücken und 3-4-2-1 ein überraschendes Ausrufezeichen, während das Mainzer Offensivspiel ihrem Dominanzanspruch erneut nicht ganz gerecht werden kann.

Stuttgarts Pressing-Quantensprung


Der Auftakt in die Saison war aus VfB-Sicht ein bisschen enttäuschend gelaufen. Das kompakte, mit Sechser-Mannorientierungen versehene Pressing der Hertha hätte eigentlich viel Angriffsfläche für die diagonalen Rochaden der Achter und die direkte Grundspielweise der Stuttgarter geboten, wurde aber erst nach dem Rückstand gezwungenermaßen besser ausgenutzt. Gestartet war der VfB in einem ordentlich ausgeführten, aber auch unambitionierten 4-4-2-Mittelfeldpressing, das den Berlinern kaum Spielanteile streitig machen konnte.

Daher konnte man nicht unbedingt erwarten, dass der VfB gegen Mainz ein aggressiveres und in einer wesentlich mächtigeren Grundordnung organisiertes Pressing auf den Platz bringen würde. Der VfB startete in einem 3-4-2-1 mit zwei "Halbzehnern" hinter einer Spitze, einer Dreierkette hinten, zwei Sechsern und zwei Flügelläufern, die weniger defensiv ausgerichtet waren als es die Besetzung vielleicht vermuten lässt. Mit so einer Formation hat man fünf Spieler, die das zentrale Mittelfeld zustellen können und viele Spieler in Zwischenpositionen, über die man (dynamisch oder per geringfügiger Umstellung) in andere Formationen wechseln kann. Zum Beispiel kann relativ leicht ein flächendeckendes, auf den Flügeln präsenteres 3-4-3 oder ein defensives, kompaktes 5-4-1 hergestellt werden.

Beim VfB wechselte die Ausgangsordnung zwischen 3-4-2-1 und 5-2-1-2, die Flügelverteidiger waren weder klar dem Mittelfeld noch der Abwehr zuzuordnen, sondern wechselten ständig zwischen beidem. Die Pressinghöhe variierte zwischen einem Angriffspressing und einem mal höheren, mal etwas tieferen Mittelfeldpressing. Brekalo, Terodde und Akolo bildeten vorne ein enges Dreieck, das durch die kurzen Abstände zueinander flexibel Druck auf die Inennverteidiger, die Sechser und den Torwart von Mainz machen konnte. In der Grundordnung standen die beiden Zehner erst tief und versperrten die Wege in den Sechserraum, liefen dann aber bei Bedarf den ballführenden Innenverteidiger an, woraufhin sich Terodde fallen ließ, um den freigewordenen Sechser aufzunehmen. So entstand eine 1-2-Staffelung. Manchmal war es auch Terodde, der das Anlaufen startete und den ballführenden Innenverteidiger anlief, dann orientierte sich der Zehner, auf dessen Seite Terodde auswich, stärker am Sechser und es entstand erneut eine 1-2-Staffelung, mit der der VfB in den Szenen, in denen Mainz mit einem Sechser in der Schnittstelle vor den Innenverteidigern aufbaute, besonders gut mannorientiert Druck machen konnte.

Da sich diese drei Spieler überwiegend auf das Zentrum konzentrierten, waren die Mainzer Außenverteidiger erst einmal frei. Kamen Donati oder Brosinski an den Ball und konnte nicht direkt durch den ballnahen Zehner unter Druck gesetzt werden, übernahm der Flügelverteidiger diese Aufgabe nach einer weiten Herausrückbewegung, während sich der ballferne Flügelverteidiger in die Abwehr fallen ließ. Auf diese Weise erzeugte der VfB immer wieder 4-2-3-1-Stellungen, die kompakter waren als das was man mit einem normalen 4-2-3-1-Pressing so erreicht: Da der ballnahe Zehner im VfB-System ballorientiert nicht komplett bis zum Flügel durchschieben muss, kann er nach der anschließenden Verlagerung (nach der er ja wiederum der ballfernste Spieler seiner Pressinglinie ist) einen weiteren Weg gehen als der klassische 4-2-3-1-Flügelspieler.

In diesem engen 4-2-3-1 stellten die Stuttgarter auf dem Flügel massiv Optionen zu: Die beiden Zehner blockierten meist die beiden Sechser, während Terodde den Rückpass zumachte. Wichtig war weiterhin, dass der ballnahe Halbverteidiger den Raum hinter dem Flügelverteidiger sicherte. Vor allem Baumgartl rückte immer wieder weiträumig auf Quaison heraus. Dabei bestand durchaus das Risiko, dass Muto den Raum hinter Baumgartl ausnutzte, aber praktisch schob er nicht weit genug auf den Flügel raus, um dem bombenstarken Holger Badstuber zu entwischen. Wenn nötig rückte noch der ballnahe Sechser mit auf und übernahm einen zurückfallenden Gegenspieler oder einen Sechser, wenn Brekalo bzw. Akolo gerade nicht zur Stelle war. Ansonsten konnten Mangala und Gentner sehr tief verteidigen. Teilweise rückten die beiden bis auf wenige Meter an die Abwehr ran (vor allem bei Gentner oft in Verbindung mit einer Mannorientierung, etwa gegen Frei oder Maxim) und unterstützten direkt die Verteidiger. Durch das Zustellen sämtlicher Optionen am Flügel, die hohe Präsenz im Zentrum und die hohe Intensität, die der VfB ging, war das alles extrem schwer zu bespielen.

Stuttgarts Übergang von 5-2-1-2 in 4-2-3-1 in der tiefen Variante. Pavard orientiert sich erst an Quaison, rückt dann beim Pass auf Brosinski raus. Baumgartl schiebt weit nach und übernimmt Quaison, dafür reiht sich Aogo ballfern ein. Gentner kann in seiner tiefen Position die Kette bei Abprallern unterstützen. In dieser Szene zockt Brekalo ein bisschen, normalerweise machte er noch konseqeuenter den Verlagerungsweg über Frei zu. Brosinski spielt den langen Ball, der in den Händen von Zieler landet. Den gleichen Mechanismus nutzte der VfB auch im Angriffspressing.

Mainz findet keine Räume


Kritik am Offensivspiel der Mainzer ist demnach immer unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass der Gegner sehr, sehr gut verteidigte. Trotzdem hätten sie einige Sachen besser machen können. Mainz ist eine Mannschaft, die zwar Ballbesitzphasen haben will, sie nutzen diese aber nicht wirklich dafür, den Gegner laufen zu lassen und die eigenen Angriffe gezielt vorzubereiten. Der Gedanke ist wohl eher, dass man möglichst viele Angriffe spielen will, um das starke Gegenpressing möglichst oft ins Spiel zu bringen. Schon im Spiel gegen Hannover konzentrierte sich Mainz dabei auf die linke Seite. Dieses Mal war dieser Fokus aber auch ein bisschen aufgezwungen, weil der VfB viel über rechts auf zweite Bälle spielte. So wurde Brosinski zum präsentesten Spieler im Mainzer Aufbau, was schon mal nicht ganz so günstig ist.


Einige gute Ansätze zeigte Mainz durch Verlagerungen, wenn sie vom VfB scheinbar auf den Flügel festgedrückt wurden. Diese waren zwar gegen den nachschiebenden VfB-Block nicht einfach zu spielen, aber wenn zum Beispiel Pavard mal etwas tiefer stand (was gelegentlich vorkam), war durchaus genug Zeit und Raum für den Verlagerungsball. Mainz versuchte allerdings eher, die Angriffe über die Seite durchzudrücken. Frei und Latza, die eingebundenen werden mussten, um einen lockenden Effekt gegen Stuttgarts Zehner zu erzielen, zeigten beide strategische Schwächen und konnten ihre Ballsicherheit kaum nutzen, um den Pressingrhythmus des VfB zu stören.

Exkurs: Maxims Wandlung


Bevor wir das Zusammenspiel der Mainzer Offensive besprechen, schweifen wir mal kurz ab. Alexandru Maxim machte während seiner Zeit unter Wolf eine bemerkenswerte Entwicklung durch. Er war bislang ein umtriebiger Spieler gewesen, der sich weit von der Zehnerposition löste, um Räume zu füllen, Bewegungen seiner Mitspieler anzustoßen und auszugleichen oder auch selbst das Spiel zu gestalten. In Wolfs Positionsspiel funktioniert die Offensive aber vor allem über Dribblings und klar definierte Mechanismen, sodass Maxims Balancieren und seine Kombinationsstärke nicht so sehr gebraucht wurden. Zudem war Maxim unter Druck nicht besonders stabil und suchte eher die riskant-produktive als die sichere Lösung. Der VfB brauchte aber wegen seiner hohen Offensivpräsenz den sicheren Ball, um keine Konter zu riskieren.

Im letzten Saisonviertel kam Maxim dann zurück, entweder als Zehner oder als Linksaußen, und das deutlich gewandelt. Er war weniger unterwegs als früher und hielt eher seine Position oder balancierte großräumiger. Phasenweise spielte er einen breiten Linksaußen, der an der Seitenlinie auf den Ball wartete und nur gelegentlich einrückte. Als Zehner versuchte er vor allem sich zwischen den Linien anspielbar zu machen, anstatt die Interaktionen mit den Flügelspielern zu suchen oder sich den Ball im Aufbau abzuholen. Dafür wirkte er in seinen Aktionen konzentrierter und effektiver, zeitweise war er als Linksaußen so dribbelstark wie wohl noch nie in seiner Karriere. In seinen letzten 7 Spielen für den VfB sammelte er noch 5 Scorerpunkte.

Ohne Breite, ohne Tiefe, ohne Druck


Diese Entwicklung scheint sein Wechsel nach Mainz zumindest nicht völlig rückgängig gemacht zu haben. Gegen den VfB ging Maxim zwar oft in die Halbräume oder ließ sich etwas fallen, aber beide Bewegungen waren nicht allzu weiträumig. Oft war er eher in ballfernen Räumen zu finden und positionierte sich dort vorausschauend für die Verlagerung. Aber weil Mainz es eben selten schaffte zu verlagern, bekam er da wenig Bälle. Auf seiner Grundposition gab es für ihn gegen die massive Stuttgarter Zentrumsverteidigung keinen Raum. Öztunali, der einen linearen, etwas eingeschobenen Rechtsaußen spielte, war durch Mainz' Linksfokus ebenfalls isoliert und konnte kaum Kontakt mit dem Mittelfeld herstellen.

Was erschwerend hinzukam, war die grundsätzliche Staffelung im Mainzer Angriff und die Unterstützung aus den hinteren Positionen. Mainz griff permanent ohne Breite und oft auch mit wenig Tiefe an. Der etwas unbedacht wirkende und in der Raumbesetzung lasche Quaison rückte zum Beispiel immer wieder leicht ein, was insofern problematisch war, als er sich damit bereitwillig in den Zugriffsbereich von Baumgartl hineinbewegte und damit die VfB-Abwehr nicht so weit auseinanderzog wie es möglich gewesen wäre. Die beiden Außenverteidiger standen auf mittlerer Höhe, bewegten sich von dort aber praktisch überhaupt nicht in die letzte Linie. Daher konnte die Stuttgarter Dreier- bis Fünferkette eng zusammenschieben. Aogo ignorierte ballfern Donati und heftete sich an Öztunali, wodurch Kaminski und Badstuber weiter verschieben konnten. Wenn Donati mal an den Ball kam, versuchte er vor allem diagonale Spielzüge einzuleiten und bewegte sich im Anschluss auch selbst in die Mitte. Aogo verteidigte in solchen Szenen dann einfach von außen ins Zentrum mit. Ähnlich war es bei Brosinski, der ja als Rechtsfuß sogar invers aufgestellt war. Der fehlende Druck von den Außenverteidigerpositionen hing auch damit zusammen, dass die Sechser weniger abkippten als bei Mainz üblich. Das wiederum könnte daran liegen, dass ihre Ballbesitzphasen zu kurz waren und zu tief stattfanden.

Dazu kam dann noch die fehlende Tiefe. Wenn der Gegner mit nur mit drei Mann konstant die letzte Linie sichert, können Läufe in die Spitze besonders effektiv sein. Von Mainz war davon aber wenig zu sehen, was zur Folge hatte, dass sie nach Verlagerungen und über lange Bälle hinter die letzte Linie wenig Gefahr ausstrahlten. Quaison, Öztunali und Maxim gingen selten druckvoll in die Tiefe, die Außenverteidiger wie erwähnt ebenfalls nicht. Auch die Sechser, die eigentlich beide im Vorstoßen ihre Qualitäten haben, konnten das nicht leisten. Vor allem Frei traute sich auch in Situationen, in denen seine Läufe sehr effektiv gewesen wären, nicht so richtig nach vorne und wollte eher hinter dem Ball bleiben. Möglicherweise hängt das mit der flexiblen Aufgabenteilung zwischen den beiden Sechsern zusammen, in dem Sinne, dass sich der eine nicht ohne Nachzudenken darauf verlassen kann, dass der andere gerade absichert. Eine Erklärung, die auf die ganze Mannschaft anwendbar ist, wäre ein psychologischer Effekt durch das Auswärtsspiel und Stuttgarts Pressing. Womöglich hat sich hier eine Grundtendenz der Mannschaft durch hohen Pressingdruck, den "Auswärtsnachteil" und die Besetzung in unangenehmer Weise verstärkt.

Hier ist Mainz mal die Verlagerung gelungen, Donati spielt den Ball an Brekalo vorbei auf Öztunali und startet einen unorthodoxen Lauf durch die Innenbahn und geht dann wieder zum Flügel. Weil sich die VfB-Zehner ja eben nicht mit nach hinten fallen lassen, muss Donati von irgendjemandem aufgenommen werden. Frei war in dieser Szene aufgerückt und von Gentner mannorientiert verfolgt worden. Nach dem Ball auf Öztunali lässt er sich aber einfach fallen, obwohl Latza die Szene bereits absichert. Dadurch kann Kaminski ohne Probleme den Lauf von Donati abfangen und Öztunali sieht sich nach seiner Drehung gegen Aogo einer 2-gegen-3-Unterzahl gegenüber. Man beachte, dass Aogo und Pavard wegen Mainz' enger Staffelung die Halbräume mitverteidigen können.

Die drucklose Raumbesetzung und die wenig raumgreifenden Ballzirkulation übertrug sich übrigens auch auf die (relativ seltenen) offensiven Umschaltmomente. Mainz war in diesem Spiel recht konterschwach.

Mainz fällt im Pressing nicht ab


Während es mit Ball einige Mängel gab, war das Pressing von Mainz die meiste Zeit über sehr stark. In ihrem Angriffspressing spielten sie 4-2-3-1. Muto versuchte entweder, direkt den Torwart bei Rückpassen zu pressen oder den Ball auf die Seite zu lenken und den Halbverteidiger nach außen zu isolieren. Da der VfB in einer Dreierkette aufbaute, war letzteres gar nicht so einfach, weil Muto beim Anlaufen den Rückpass zum Torwart und zum mittigen Innenverteidiger zumachen musste. Wurde Mutos Lauf überspielt kam Maxim als zweite Spitze dazu und machte Druck auf den Empfänger des Passes. Dann rückte zusätzlich einer der beiden Sechser auf und übernahm Maxims Grundposition im Stuttgarter Sechserraum. Hatte Muto gerade keinen Zugriff auf den Halbverteidiger, wurde dieser vom Flügelspieler angelaufen. Überspielte der VfB auch diesen rückte der ballnahe Außenverteidiger konsequent auf den Flügelverteidiger nach, wenn nötig ging sogar der Innenverteidiger noch hinterher. In jedem Fall konnte der in diesen Situationen zuverlässig auf der Zehn positionierte Maxim wiederum die Wege ins Zentrum zustellen. Meist stand der ballferne Flügelspieler dann auch noch balancierend tiefer. Die übliche Aufteilung war: Muto isoliert nach links, Öztunali rückt auf und Quaison bleibt tief. Insgesamt funktionierte das alles ziemlich gut.

Insbesondere war wichtig, dass Mainz in den 4-4-2-Phasen (also mit hohem Maxim) nur einen Sechser ins Zentrum nachzog, obwohl Stuttgart ja mit Doppelsechs spielte. Gentner und Mangala schalteten sich aber ohenhin überhaupt nicht in den Spielaufbau ein (sieht man schön in der Passmap: Beide erhielten kaum Pässe von der Dreierkette und Zieler). Der manchmal freie "zweite Sechser" des VfB machte sich kaum anspielbar, sodass weder über ihn aufgebaut werden konnte, noch Mainz' zweiter Sechser herausrücken musste (vielleicht hätte das aber eh der Flügelspieler gemacht, weiß ich nicht). War Mainz im Angriffspressing ließ der VfB den Ball entweder gar nicht oder kurz laufen, um die angesprochenen Aufrück- und Umformungsbewegungen bei Mainz zu provozieren. Den anschließenden langen Ball, der fast immer auf die rechte Seite geschlagen wurde, bekam Mainz mit der Viererkette und dem tiefen Sechser aber gut verteidigt. Gewann Stuttgart den zweiten Ball war der aufgerückte Sechser schnell zur Stelle. Hatte der VfB Maxim nicht in die erste Linie gezogen, war auch er bald zurück. Auch Muto überzeugte im Rückzugsverhalten.

Mainz im Angriffspressing. Die Szene wäre deutlich interessanter, wenn Gentner sich in der Lücke zwischen Badstuber und Kaminski anspielbar machen würde. Sonst bemerkenswert: Mainz' Probleme mit der Zwischenposition der Zehner (hier Akolo).

Zum Teil problematisch waren die Szenen, in denen der VfB den Ball direkt ins Zentrum auf die Sechser abgelegt bekam. Hatte das Mainzer Mittelfeld dort keinen unmittelbaren Zugriff, konnte Stuttgart den Ball weiter nach links verlagern. Aogo hatte keinen festen Gegenspieler, da Öztunali ja den Halbverteidiger gepresst hatte und Donati eng bleiben musste um eventuelles Herausrücken der Innenverteidiger abzusichern. Mehr als einige harmlose Flankenbälle von weit außen sprangen auf diese Weise aber nicht heraus.

Unproduktive Gegenpressingkiller mit Potential für mehr


Mainz war nicht nur im geordneten Pressing gut, sondern auch im Gegenpressing. Hier zahlten sich einige Sachen, die ich bei Mainz als Schwächen dargestellt habe, doch noch positiv aus. Mit den eng formierten Offensivspielern, hatte Mainz nach Ballverlust kurze Wege. Dadurch dass die Spieler wenig in die Tiefe gingen, konnten sie sich schnell umorientieren und mussten nicht erst ihren Lauf abbrechen. Zusätzlich hatte Mainz mit den Sechsern und Außenverteidigern, die sich fast immer hinter dem Ball befanden, viel Personal zum Nachrücken (oder Absichern). Mit dem kleinen strukturell-vorbereitenden Makel, dass sie die Verzahnung zwischen den Sechsern und dem Angriff nicht immer optimal hinbekamen, war auch das Gegenpressing auf hohem Niveau.

Für Mainz funktionierte das Gegenpressing (und auch das normale Pressing) in diesem Spiel aber nur als defensives Mittel. Das "Gegenpressing als Spielmacher" zu nutzen, gelang ihnen kaum. Aufgrund der fehlenden Breite im Offensivspiel konnte der VfB den ersten Ball manchmal einfach zur Seite spielen. Mainz schiebt zu, Stuttgart bolzt, keine Umschaltchance. Außerdem hatte der VfB mit Pavard und Mangala pressingresistente Spieler im Hauptzielraum der Mainzer Angriffe. Vor allem Mangala war schwer vom Ball zu trennen, suchte stets die sichere Lösung und schaffte es so, den Ballverlust zu vermeiden. War der Druck zu hoch, vermied der VfB riskante Pässe durchs Zentrum und spielte risikolos den Flügel entlang.

Das Mainzer Gegenpressing sorgte dafür, dass der VfB wenig aussichtsreiche Umschaltchancen bekam. Gleichzeitig war aber auch das Nachrückverhalten beim VfB zu vorsichtig, um aus den paar interessanten Szenen was zu machen. Weil die Sechser im ersten Moment überhaupt nicht aufrückten, und auch von den Flügelverteidigern nicht der allerletzte Zug nach vorne ausging, sahen die Konterangriffe des VfB ähnlich schwach aus wie bei Mainz. Die drei Offensivspieler waren, manchmal zusammen mit einem Flügelverteidiger, überwiegend auf sich allein gestellt und konnten die Angriffe gegen Mainz' gute Absicherung kaum zu Ende spielen. Durch Stuttgarts Konter-Zurückhaltung waren auch Gegenkonter kein Thema für Mainz.

Grundsätzlich bot das 3-4-2-1 für den VfB aber eine exzellente Grundstruktur für eigene Angriffe. Neben den Flügelverteidigern waren auch die beiden Zehner schwierig zu greifen: Die Mainzer Außenverteidiger mussten in ihrer Zurodnung immer wieder zwischen Flügelverteidiger und Zehner wechseln, die Innenverteidiger zwischen Mittelstürmer und Zehner und die Sechser zwischen Sechser und Zehner. Da war es fast unvermeidlich, dass Brekalo und Akolo nicht immer bei der Ballannahme schon gestört werden konnten. Bei längeren Ballbesitzphasen rückte zusätzlich Gentner weit nach vorne und rochierte diagonal nach außen, was von den Mainzer Sechsern oft mannorientiert verfolgt wurde und das Zentrum für inverse Dribblings öffnete. Dieser Mechanismus fand vor allem auf links statt, mit Brekalo und Asano nach dessen Einwechslung als Profiteuren. Auf rechts kreuzte Akolo eher mit dem ausweichenden Terodde und überließ die kreativen Aufgaben auch mal Pavard.

Auch wenn diese beiden Mechanismen auf den Flügeln recht isoliert voneinander stattfanden, war der VfB bei seinen Angriffen gefährlich, aber erst wenn man überhaupt einmal ins Aufrücken kam. Und das verhinderte Mainz eben lange Zeit ziemlich gut. Bis zum 1:0 in der 53. Minute, das nach einer Ecke fiel.

Ecken


Das war so ein Tor, das sich zwar nicht unbedingt andeutete, aber auch nicht ganz aus der Luft gegriffen war. Beide Mannschaften hatten in diesem Spiel ihre Problemchen mit der Verteidigung von Eckbällen. Der VfB hatte für die Ecken eine simple Strategie: Ein, zwei Spieler standen in der Nähe des kurzen Pfostens und gingen teilweise dem Ball entgegen, der Rest startete von der hinteren Hälfte des Strafraums einfach Richtung Tor. Der Ball sollte dann entweder in diese Zone verlängert werden oder kam direkt dort rein. Durch die Möglichkeit der Verlängerung war die Situation immer etwas unübersichtlich. Die manndeckenden Mainzer orientierten sich nicht eng genug an ihren Gegenspielern und wurden beim Einlaufen oft abgehängt, so auch bei Badstubers Tor.

Mainz war bei den Ecken etwas weniger brachial. Auch sie besetzten zwar dynamisch den kurzen Pfosten, dahinter kamen sie aber nicht so sehr über ihre Wucht, sondern versuchten vielmehr untereinander zu kreuzen, um sich ihren Gegenspielern zu entziehen. Der VfB verteidigte grundsätzlich auch in Manndeckung, hatte aber noch 1-2 Raumdecker tief im Fünferraum und zusätzlich (!) noch 1-2 Spieler an den Pfosten. Das heißt, es fielen pro Ecke immer 3-4 Spieler für die Manndeckungsaufgaben weg. Und das merkte man: Während Mainz mit exakt einem Raumdecker und einem Mann am Pfosten immer alle Stuttgarter zugeordnet bekam (wie gesagt: Mainz verlor dann halt eher die direkten Duelle), fehlte dem VfB ständig irgendwo ein Mann. Einmal macht keiner die kurze Option zu, manchmal fehlte jemand im Rückraum und manchmal war ein Mainzer im Strafraum ohne Gegenspieler. Mal schauen, ob das langfristig in der Form funktioniert.

Nach dem 1:0


Nachdem der VfB die ersten Minuten nach dem Führungstor noch Angriffspressing spielte, zog er sich danach sukzessive in ein tieferes 5-2-2-1-Mittelfeldpressing zurück, das Mainz immer noch nicht mit der letzten Effektivität bespielen konnte. Sie eierten nach wie vor ein bisschen zu viel in tiefen, seitlichen Räumen und im Zentrum herum. Die Mitte war aufgrund von Stuttgarts Fünfeck vor der Fünferkette und des immer noch starken Rückzugsverhaltens der Offensivspieler nicht weniger gut geschützt als zuvor. Ein druckvoller Flügelfokus wäre gegen die einfache Flügelbesetzung und das nachlassende Verschieben des VfB in dieser Phase vielleicht die bessere Variante gewesen. Andeuten konnte das der eingewechselte Fischer, der sich in ein paar Situationen breit positionierte und zusammen mit Brosinski Pavard überladen und einfache Flügeldurchbrüche erzeugen konnte.

Insgesamt zeigte Mainz aber zu viele der bereits erwähnten Probleme, um aus den ungestörteren Ballbesitzphasen, die sie jetzt hatten, mehr zu machen. Im Gegenteil: Der VfB hatte in dieser Phase eine ganze Reihe an guten Chancen. Mainz konnte die hohe Intensität nicht ganz halten und musste sich ebenfalls etwas zurückziehen. Die Kohärenz zwischen offensivem und defensivem Mittelfeld ging im Pressing öfter verloren, weil die Sechser tief standen und nötige Herausrückbewegungen nicht mehr machten. So konnte der VfB einen Sechser freispielen oder sich über die Seite nach vorn kombinieren.

Ordentlich Torgefahr entstand nun auch aus Kontern des VfB. Teilweise schoben Mainz' Außenverteidiger nun etwas höher, ohne den ganz großen Druck zu entfalten. Gleichzeitig bekamen die Sechser im Gegenpressing keinen Zugriff mehr, teilweise stand Frei merkwürdig tief, wenn Latza aufrückte, sodass in der Mitte viel Raum aufging. Im Anschluss suchte der VfB zielstrebig einen der, wie gesagt, schwer zuzuordnenden Zehner und konnte dann auch ohne großartiges Nachrücken teilweise in Gleichzahl kontern. Ein Schlüssel für die Überlegenheit des VfB in dieser Phase war also, dass sie die Zehner hoch und zentral stehen ließen und sich nicht etwa in ein 5-4-1 zurückzogen.

Fazit


Der Sieg für den VfB war ohne Zweifel verdient. Dafür hatten sie durch Wolfs geschickt gewähltes System zu viele taktische Vorteile gegenüber Mainz. Dass trotzdem ein Standard für das Tor des Tages herhalten musste und der VfB erst danach eine klare Überlegenheit erzielen konnte, zeigt, dass auch Mainz im Pressing viel richtig gemacht hat. Die Mannschaft von Sandro Schwarz wird aber noch die eine oder andere Idee im Spiel nach vorne brauchen, sei es im Umschalten oder bei den Positionsangriffen. Noch ist ihr Angriffsplan zu leicht durchschaubar.

Von der anderen Seite aus betrachtet kann man konstatieren, dass der VfB nach vorne viel Potential hat, aber noch nicht in der Lage ist, auch mal ein Tor zu erzwingen. Mal einen Konter zu setzen, obwohl der Gegner gut sortiert ist. Mal den Ball hinten raus zu spielen, obwohl der Gegner hoch presst. Das wird wohl auch in Zukunft noch zu Spielen führen, in denen der VfB sein Potential nicht komplett ausschöpfen kann. Umso entscheidender könnte sein, dass Wolf häufiger als bisher das Pressing an den Gegner anpasst. Auf jeden Fall unterstrich dieses Spiel, dass er in dieser Disziplin schon verdammt gut sein kann.

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